Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis | Jahrgang 1/2016 | Nr. 2 | Halbjahreszeitschrift | Wochenschau-Verlag | www.demokratie-gegen-menschenfeindlichkeit.de | A5 | 160 Seiten | 26,80 € (kostenloses Probeheft und Schnupper-Abo möglich)
An dieser recht neuen Fachzeitschrift, von der mittlerweile 3 Ausgaben erschienen sind und die eher den Umfang eines Buches hat, haben gut 20 Autor_innen mitgeschrieben. Schwerpunkt der Ausgabe ist der NSU und die Folgen für die politische Kultur in Deutschland.
Hinsichtlich der Arbeitsbereiche Supervision, Antigewalt-Training und politischer Bildung finden sich einige sehr interessante Texte. So geht es im Artikel „Wie kann Integration von Flüchtlingen gelingen, damit die Stimmung nicht kippt?“ neben sehr konkreten Handlungstipps für Kommunen u.a. auch um den besonderen Bedarf an professioneller Unterstützung für ehrenamtliche Helfer_innen. Zwar „engagieren sich [in der Regel] „ressourcenstarke“ und sozial integrierte Menschen, […] [allerdings zeigen sich] bei Engagierten in dieser anspruchsvollen Arbeit zunehmend Symptome eines „Burnouts“ […]“. Hinzu kommt die „zunehmende Verrohung des politischen Diskurses“, die immer öfter auch in Gewalt gegen Flüchtlingsunterstützer_innen gipfelt.
In einem anderen Artikel geht es um die Ergebnisse und Erfahrungen aus einem Brandenburger Forschungsprojekt, in dem es darum ging, die Diskrepanz zwischen den offiziellen Zahlen der Bundesregierung und denen von Journalist_innen, Opferperspektive e.V. sowie der Amadeu Antonio Stiftung hinsichtlich der seit der Wende aus rechtsextremen/rassistischen Motiven getöteten Menschen geht. Hierzu untersuchte eine unabhängige Forscher_innengruppe im Auftrag der Landesregierung alle bislang nicht offiziell erfassten Brandenburger Fälle und kam am Ende u.a. zu dem Ergebnis: „Sämtliche von uns als politisch motiviert eingestuften Tötungsdelikte wurden vom Land Brandenburg nachträglich in die PMK-Statistik* aufgenommen.“. [*politisch motivierte Kriminalität]
Interessant an diesem Artikel sind für mich aus Antigewalttrainer-Sicht auch die ausgewählten Tatschilderungen. Hierbei verdeutlicht vor allem ein Mord, den die Forscher_innen unter der Kategorie „Kein politisches Motiv, Täter rechtsextrem“ fassen, wie von den Tätern_ am Ende eines Disco-Abends eine Gelegenheit herbei geführt wird, um aus purer Lust am Töten ein wahlloses Opfer mit einem bewusst mitgeführten Messer umzubringen. Diese Tatrekonstruktion liest sich erschütternd. Im Rahmen einer Fachkräftefortbildung oder eher noch einer Antigewalttrainer-Ausbildung könnte dieses Beispiel aber auch gut genutzt werden, um die verschiedenen Entwicklungsstufen der Tat herauszuarbeiten, da sich aus den Gerichtsakten detailliert die Vorgeschichte der Tatnacht nachzeichnen lässt.
Ebenfalls sehr interessant fand ich den Artikel „Was nützt Ausstiegshilfe? Zur Evaluation des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten NRW“ (APR). Hier wird sehr schön die pädagogische Arbeit anhand konkreter Beispiele beschrieben und es werden sowohl Chancen, als auch Grenzen verdeutlicht. Was ich jedoch schade finde, ist, dass trotz des Ergebnisses, wonach „das APR […] in rund der Hälfte der Fälle […] vollumfänglich erfolgreich [war]“, die Verfasser_innen des Evaluationsberichtes sich an der Effizienzfrage so sehr aufhängen. Ich würde mir wünschen, über solch ein Deradikalisierungsprogramm mit mehr Selbstbewusstsein zu schreiben, Selbstbewusstsein im Sinne von Täterarbeit=Opferschutz. Und wenn dann für ein Aussteigerprojekt doch eine Rechtfertigungshaltung eingenommen wird, dann wäre es schön, den Grund dafür auch zu erklären. Also warum sie das Gefühl haben, sich eventuell rechtfertigen zu müssen. Gab es Anfeindungen? Wenn ja, von wem? Mit welchen Argumenten?
Abgerundet wird die Zeitschrift durch Selbstdarstellungen diverser Demokratie fördernder Projekte und ein paar Buchbesprechungen.
Abschließend lässt sich sagen, dass es den Herausgeber_innen gelungen ist, dem eigenen Anspruch, Wissenschaft mit Praxis zu verknüpfen, gerecht zu werden. Dass sich das Ganze durch die äußerst wissenschaftliche Schreibe zuweilen etwas mühselig liest, nun, das liegt in der Natur der Sache, schließlich ist das auch eine Fachzeitschrift und kein Fanzine.
Kurz noch ein paar Worte zur Aufmachung: Die Zeitschrift erscheint im mir angenehm vertrauten, klassischen A5-Zine-Format, könnte sich von diesem Genre aber ruhig ein bisschen Gefühl für Gestaltung und Layout abgucken. Die Druckqualität ist ebenfalls nicht der Hit, wobei alles aber gut lesbar bleibt. Wenn also in Zukunft noch etwas Liebe zum Detail hinzukommt, dann erhält Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit auch die Rahmung, die diese inhaltlich klasse Zeitschrift verdient.