Folgenden Artikel habe ich für die aktuelle Ausgabe des Informationsdienst Straffälligenhilfe geschrieben, der Fachzeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S).
Beziehungsarbeit als Chance im Antigewalt-Training
Ich möchte eine zentrale Erfahrung aus der Praxis teilen – nämlich, dass die Qualität der Arbeitsbeziehung zentral ist für das Gelingen von Veränderungsprozessen. Das ist ganz sicher keine neue Erkenntnis und doch kann es nicht oft genug erwähnt werden, wie wertvoll die Beziehung in der Sozialen Arbeit ist und wie entscheidend hierfür die pädagogische Haltung ist. Ich will mich also stark machen für die Basics erfolgreichen sozialpädagogischen Arbeitens – Hilfe zur Selbsthilfe, Ressourcenorientierung, Reibung bietend, Verbindlichkeit im Kontakt, die vielbeschworene Authentizität und, ganz zentral, Wertschätzung.
Wie dies mit Gewalttätern möglich ist, die so viel Hass transportiert und Leid produziert haben, werde ich häufig gefragt, meistens von Nicht-Sozialarbeitern. Inzwischen kann ich darauf sehr leicht antworten. Es ist der wesentliche Grundsatz in meiner Haltung gegenüber den Klienten – das Unterscheiden zwischen, das Nichtgleichsetzen von Person und Verhalten. Das macht Wertschätzung möglich. Denn ein erster Schritt zur Verantwortungsübernahme ist bereits dadurch getan, dass sie sich für ein Antigewalt-Training angemeldet haben. Ich mache den Teilnehmern im Training klar deutlich, dass ich ihre Taten, dass ich Gewalt grundsätzlich ablehne. Sie aber gleichzeitig als Menschen achte und nicht als Person abwerte. Ich verurteile sie auch nicht, das ist nicht die Aufgabe in meiner Rolle. Das ist Aufgabe der Justiz. Diese hat eine große Bedeutung, denn Strafe ist als Konsequenz zentral wichtig, vor allem auch als Signal an die Opfer und auch an die Gesellschaft, dass es eben nicht okay ist, Leute zusammenzuschlagen, auszurauben, zu bedrohen etc. Aber ich bin in meiner professionellen Rolle als Antigewalttrainer da für die Männer mit dem Auftrag, Teil ihrer Resozialisierung zu sein, sie dabei zu begleiten, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen und darin zu unterstützen, nicht wieder Täter zu werden. Und letztlich ist Täterarbeit proaktiver Opferschutz.
Wie sieht das nun konkret aus in der Trainings-Praxis?
Der Aufbau unserer Antigewalt-Trainings (wir arbeiten in der Regel in gemischtgeschlechtlichen Co-Trainer-Teams) beinhaltet Biographiearbeit zum Verstehen der eigenen Gewaltkarriere. Ich hatte noch nie einen Teilnehmer, der nicht selbst auch als Kind oder Jugendlicher Gewalt erfahren oder miterlebt hat, häufig in der Familie, oft durch den Vater gegenüber den Kindern oder der Mutter. Das biographische Verstehen fördert auch die Entwicklung von Empathie zu sich selbst, was wiederum ein Grundstein ist für die Entwicklung von Empathie für die Opfer der eigenen Gewalthandlungen. Es hängt hier stark vom Setting des Trainings ab, wie intensiv sich biographisch einsteigen lässt – in ambulanten Gruppen und im Einzelsetting (auch in der JVA) geht es häufig tiefer, in Gruppen im Strafvollzug geht es tendenziell nur leicht in die Tiefe. Was wiederum in allen Settings, und hierbei im Gefängnis sogar am besten, funktioniert, ist das Irritieren des Gewaltmythos, u.a. durch Kosten-Nutzen-Analyse der Gewalthandlungen. Ein wesentliches Element bildet auch die Tatrekonstruktion, die dazu dient, die jeweiligen gewaltaffinen Interpretationsregimes zu beleuchten und diese nach Möglichkeit, in Verbindung mit den anderen Trainingselementen, auch aufzulösen. Daran anknüpfend werden gewaltfreie Konfliktklärungsstrategien vermittelt, teils auch geübt und erprobt. Und am Ende steht die Entwicklung eines persönlichen Sicherheitsplans unter Einbeziehung der persönlichen Ressourcen und der eigenen Risikofaktoren, wie z.B. der individuelle „wunde Punkt“, den es zu kennen und zu schützen gilt.
„Was ich gut finde: Vertrauen, Transparenz – man kann sich auf Sie verlassen, mit Ihnen offen reden.“ (Teilnehmer eines Einzelcoachings im Strafvollzug)
Zu verstehen, was mein Gewaltverhalten mit mir und meiner Sozialisation zu tun hat, verbunden mit dem Anerkennen der Verantwortung für die eigenen Taten, bereiten die Basis, um alternative Handlungsstrategien zu erlernen und anzuwenden.
Ich möchte an dieser Stelle nochmal näher eingehen auf das Kernstück des Trainings – die Gewalttatrekonstruktion – und die dabei stattfindende Konfrontation mit den Rechtfertigungs- und Verharmlosungsmustern. Ich habe bei Thomas Mücke vom Violence Prevention Network die Ausbildung zum Antigewalt- & Kompetenz-Trainer (AKT®) gemacht und arbeite entsprechend nach den Grundsätzen der Verantwortungspädagogik®. Wesentlicher Grundsatz hierbei ist der demütigungsfreie Rahmen, den ich im Training setze. Die Grundannahme ist, dass Gewalt ein erlerntes Verhalten ist, also auch wieder verlernt werden kann. Und erfolgreiches Lernen ist nur in einer angstfreien Atmosphäre möglich. Das scheint so selbstverständlich, doch ist es das offenbar nach wie vor nicht. Denn immer wieder begegnen mir in den Trainings Teilnehmer, die zuvor auch schon bei anderen Antigewalt-Kursen mitgemacht haben, aus denen sie zum Teil mit negativen Gefühlen rausgegangen sind. Deshalb sage ich immer schon zu Beginn, dass es in meinen Trainings keinen sogenannten „heißen Stuhl“ gibt, auf dem sie durch die Trainer, Trainerinnen und die Mit-Teilnehmer der Gruppe „konfrontiert“ werden und zum „Cool-Bleiben“ durch „Runterschlucken“ gedrillt werden. „Geschluckt“ haben sie schon genug im Leben und das war wenig hilfreich.
Aber sehr wohl konfrontiere auch ich, nur eben auf Basis eines humanistischen Menschenbildes, gestützt durch eine grundsätzlich wertschätzende Haltung. Das ist wichtig, nicht zuletzt im Zuge der Tatrekonstruktion, die ein wesentliches Element darstellt, bei der jedem Teilnehmer eine Sitzung gewidmet wird, in der er eine seiner Gewalttaten minutiös nacherzählen muss. Hierbei wird von den Trainern nachgehakt, um Erzähllücken zu schließen und ihn mit seinen, in aller Regel vorkommenden, Verharmlosungsmustern und Rechtfertigungsstrategien für seine Tat zu konfrontieren und diese in der Folge zu dekonstruieren. Dies ist wichtig, auch für eines der Kernziele des Trainingskurses – die Verantwortungsübernahme.
Um tatsächlich auch konfrontieren und dekonstruieren zu können, also auch die „heißen Eisen“ anzufassen, ist es unerlässlich, eine tragfähige Arbeitsbeziehung zwischen Teilnehmer und Trainer zu haben. Diese Beziehung ist die Basis für eine erfolgreiche Arbeit in dem Kontext. Und ja, das ist auch im Setting des Strafvollzugs möglich, wenngleich hier nochmal intensiver und sensibler auf die Bedenken und Befürchtungen der teilnehmenden Häftlinge eingegangen werden muss. Denn die Vorbehalte sind oft groß, da erst einmal unterstellt wird, dass man als Trainer auch Teil des JVA-Systems ist. Der Grundsatz – „Alles, was hier besprochen wird, bleibt hier im Raum, mit Ausnahme von Ankündigungen zu Selbst- oder Fremdgefährdung.“ – gilt auch im Setting Knast, ja muss unbedingt gelten. Denn ohne Vertrauen geht einfach nichts. Dies bedeutet mitunter für mich als Trainer auch, die teils vorhandenen Erwartungen seitens der für die Häftlinge zuständigen Sozialpädagogen einzuschmelzen. Denn weder kann ich Rückfallprognosen geben noch will ich Entwicklungsberichte diktieren. Das ist pädagogisch schlicht nicht sinnvoll und nicht zielführend im Sinne eines für den Teilnehmer erfolgreichen Trainings. Hierbei muss ich klare Kante zeigen und notfalls lehne ich auch einen Auftrag für die Durchführung eines Trainings ab, sollte darauf bestanden werden, dass ich während oder im Anschluss des Trainingskurses mich mit Dritten (Sozialpädagogen/Psychologen/…) über persönliche Dinge aus dem Training austauschen soll. Wenn dies der explizite Wunsch eines Teilnehmers ist oder er idealerweise sogar mit dabei sein kann, dann gerne, aber ansonsten nicht. Was ich mache, und das mache ich entsprechend auch gleich in der ersten Sitzung gegenüber den Teilnehmern transparent, sind Rückmeldungen; denn irgendeine Form von Auswertungsgespräch mit Vertretern der Anstalt wird es immer geben; bzgl. der individuellen positiven Entwicklung im Trainingsverlauf hinsichtlich Teilnahme, Mitarbeit, Offenheit, jedoch allgemein und ohne dabei näher ins Detail zu gehen. Zum Beispiel, wenn ich den Eindruck bekommen habe, dass die anfängliche Primärmotivation, die zumeist mit der Hoffnung auf Hafterleichterungen im Zuge anstehender Vollzugsplankonferenzen (VPK) verknüpft ist, im Trainingsverlauf zunehmend durch die Sekundärmotivation ergänzt worden ist, welche schon oft auch ein ehrliches Interesse ist, nicht wieder straffällig zu werden, nicht noch eine Einschulung oder die ersten Schritte oder Worte seines Kindes zu verpassen, weil man nicht da ist, weil Papa im Gefängnis sitzt.
„Das finde ich gut, wie Sie Kritik rüberbringen – ohne zu beleidigen, ohne zu verletzen.“ (Teilnehmer eines Antigewalt-Einzelcoachings im Strafvollzug)
Ich bin bislang gut damit gefahren, die Teilnehmer aus ihrer gern eingenommenen Opferhaltung rauszuholen. Ihnen deutlich zu machen, dass „es“ nicht mit ihnen „irgendwie passiert“ ist oder dass andere Schuld sind an ihrem Elend, sondern dass sie es sind, die selbst Entscheidungen getroffen haben, die sie in den Knast gebracht haben. Das finden die Teilnehmer im ersten Moment nicht so toll zu hören, doch es bietet auch eine Perspektive auf Selbstwirksamkeitserlebnisse, die dabei helfen können, künftig gewaltfrei zu leben. Denn wer eine Idee davon bekommt, dass er, genauso wie er sich zuvor für Gewalt entschieden hat, sich entsprechend auch aktiv entscheiden kann, seine Anliegen ohne Gewalt zu regeln, der kann sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen.
Wie im Training, so gilt für mich generell der Grundsatz „Verstehen wieso“ und „Stärken stärken“, ressourcenorientiert und lösungsfokussiert.
Es ist nie zu spät, Verantwortung zu übernehmen. Veränderung ist immer möglich.
Christian Gerkuhn
Systemischer Supervisor & Coach, Antigewalttrainer, Sozialarbeiter